Sonntag, 22. Februar 2009

Werdet endlich nüchtern!

Wirtschaftskrise

Werdet endlich nüchtern!

http://www.zeit.de/2009/09/Shultz-Interview

Von Matthias Nass | © DIE ZEIT, 19.02.2009 Nr. 09

Warum Amerikas Eliten in der Krise versagt haben und wie Präsident Obama Vertrauen zurückgewinnen kann. Ein ZEIT-Gespräch mit George Shultz, dem ehemaligen Finanz- und Außenminister der USA


Von Kalifornien aus die Welt verändern: George P. Shultz war Reagans Außenminister, heute plädiert er für eine Welt ohne Atomwaffen

© Axel Köster für DIE ZEIT

DIE ZEIT: Mr Shultz, für viele Amerikaner – und für Menschen überall auf der Welt – war die Inauguration von Barack Obama ein magischer Moment. Auch für Sie?

George P. Shultz: Präsident Obama erhält eine fast beispiellose Unterstützung; die Leute wollen, dass er Erfolg hat. Die Wahl ist ein weiterer Schritt, die Idee von den Vereinigten Staaten als einer breiten demokratischen Meritokratie zu verwirklichen. Lange Zeit mussten Sie ein protestantischer, weißer Mann sein, um eine Chance zu haben, Präsident zu werden. Inzwischen haben für beide Parteien Frauen kandidiert. Eine Frau war nahe dran, von den Demokraten nominiert zu werden. Und dann wird ein Afroamerikaner gewählt! Jetzt können wir sagen, dass die Hautfarbe kein entscheidendes Kriterium mehr ist. Wir versuchen schlicht, die beste Person, den besten Amerikaner für den Job zu finden – ob er nun schwarz, weiß oder gelb ist, ob Jude, Katholik, Protestant oder was auch immer.

ZEIT: Einige der ersten Entscheidungen Obamas waren ein Bruch mit dem Bush-Erbe: Guantánamo zu schließen, brutale Verhörmethoden zu verbieten.

Shultz: Gemeinsam mit anderen habe ich eine Erklärung unterschrieben, dass wir keine Folter anwenden sollen. Auch John McCain hat hierzu eine sehr klare Haltung gehabt, und ich bin in diesem Punkt immer auf seiner Seite gewesen.

ZEIT: Kann Obama die politische und moralische Glaubwürdigkeit Amerikas wiederherstellen?

Shultz: Wir haben jede Menge Glaubwürdigkeit! Ich laufe nicht herum und mache mir deswegen groß Sorgen. Wir müssen tun, was richtig ist. Wir müssen tun, was funktioniert. Und wir müssen uns dabei an unsere Normen halten. Dann verfügen wir weiterhin über eine Menge Glaubwürdigkeit.

ZEIT: Henry Kissinger hat geschrieben, die Tatsache, dass Barack Obama mitten in einer schweren Finanzkrise ins Amt komme, eröffne »eine einzigartige Gelegenheit für kreative Diplomatie«.

Shultz: Bei der Wirtschaftskrise handelt es sich nicht in erster Linie um eine diplomatische Krise. In der Krise steckt vielmehr die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft und die Weltwirtschaft funktionieren. Um über mein Land zu sprechen: Wir müssen uns fragen, was sind eigentlich die Probleme? Wie sind sie entstanden? Wie weit können wir selber etwas dagegen tun? Natürlich hängt ein Teil unserer Probleme mit unseren Beziehungen zum Rest der Welt zusammen, mit unseren Handels- und Währungsbeziehungen. Die beiden wichtigsten Institutionen der Weltwirtschaft sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Beide arbeiten auf der Grundlage von Mandaten, die sie am Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten haben. Diese sind total überholt! Was uns angeht: Wir haben eine Zeit lang wie wild konsumiert. Wir haben mehr konsumiert als produziert.

ZEIT: Amerika hat über seine Verhältnisse gelebt.

Shultz: Ja, das hat es. Wir müssen zur Ethik des Sparens zurückkehren. Hier kommt die internationale Seite ins Spiel. Denn viele Länder gründen ihren Wohlstand darauf, dass sie mehr exportieren, als sie importieren. Abnehmer dieser Exporte waren die USA. Wenn wir unser Haus in Ordnung bringen, unseren Handel und unsere Zahlungsbilanz ausgleichen, dann müssen eine Menge anderer Leute sich auch anpassen.

Wirtschaftskrise

Werdet endlich nüchtern!

Von Matthias Nass | © DIE ZEIT, 19.02.2009 Nr. 09

Warum Amerikas Eliten in der Krise versagt haben und wie Präsident Obama Vertrauen zurückgewinnen kann. Ein ZEIT-Gespräch mit George Shultz, dem ehemaligen Finanz- und Außenminister der USA

Von Kalifornien aus die Welt verändern: George P. Shultz war Reagans Außenminister, heute plädiert er für eine Welt ohne Atomwaffen

© Axel Köster für DIE ZEIT

DIE ZEIT: Mr Shultz, für viele Amerikaner – und für Menschen überall auf der Welt – war die Inauguration von Barack Obama ein magischer Moment. Auch für Sie?

George P. Shultz: Präsident Obama erhält eine fast beispiellose Unterstützung; die Leute wollen, dass er Erfolg hat. Die Wahl ist ein weiterer Schritt, die Idee von den Vereinigten Staaten als einer breiten demokratischen Meritokratie zu verwirklichen. Lange Zeit mussten Sie ein protestantischer, weißer Mann sein, um eine Chance zu haben, Präsident zu werden. Inzwischen haben für beide Parteien Frauen kandidiert. Eine Frau war nahe dran, von den Demokraten nominiert zu werden. Und dann wird ein Afroamerikaner gewählt! Jetzt können wir sagen, dass die Hautfarbe kein entscheidendes Kriterium mehr ist. Wir versuchen schlicht, die beste Person, den besten Amerikaner für den Job zu finden – ob er nun schwarz, weiß oder gelb ist, ob Jude, Katholik, Protestant oder was auch immer.

ZEIT: Einige der ersten Entscheidungen Obamas waren ein Bruch mit dem Bush-Erbe: Guantánamo zu schließen, brutale Verhörmethoden zu verbieten.

Shultz: Gemeinsam mit anderen habe ich eine Erklärung unterschrieben, dass wir keine Folter anwenden sollen. Auch John McCain hat hierzu eine sehr klare Haltung gehabt, und ich bin in diesem Punkt immer auf seiner Seite gewesen.

ZEIT: Kann Obama die politische und moralische Glaubwürdigkeit Amerikas wiederherstellen?

Shultz: Wir haben jede Menge Glaubwürdigkeit! Ich laufe nicht herum und mache mir deswegen groß Sorgen. Wir müssen tun, was richtig ist. Wir müssen tun, was funktioniert. Und wir müssen uns dabei an unsere Normen halten. Dann verfügen wir weiterhin über eine Menge Glaubwürdigkeit.

ZEIT: Henry Kissinger hat geschrieben, die Tatsache, dass Barack Obama mitten in einer schweren Finanzkrise ins Amt komme, eröffne »eine einzigartige Gelegenheit für kreative Diplomatie«.

Shultz: Bei der Wirtschaftskrise handelt es sich nicht in erster Linie um eine diplomatische Krise. In der Krise steckt vielmehr die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft und die Weltwirtschaft funktionieren. Um über mein Land zu sprechen: Wir müssen uns fragen, was sind eigentlich die Probleme? Wie sind sie entstanden? Wie weit können wir selber etwas dagegen tun? Natürlich hängt ein Teil unserer Probleme mit unseren Beziehungen zum Rest der Welt zusammen, mit unseren Handels- und Währungsbeziehungen. Die beiden wichtigsten Institutionen der Weltwirtschaft sind der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Beide arbeiten auf der Grundlage von Mandaten, die sie am Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten haben. Diese sind total überholt! Was uns angeht: Wir haben eine Zeit lang wie wild konsumiert. Wir haben mehr konsumiert als produziert.

ZEIT: Amerika hat über seine Verhältnisse gelebt.

Shultz: Ja, das hat es. Wir müssen zur Ethik des Sparens zurückkehren. Hier kommt die internationale Seite ins Spiel. Denn viele Länder gründen ihren Wohlstand darauf, dass sie mehr exportieren, als sie importieren. Abnehmer dieser Exporte waren die USA. Wenn wir unser Haus in Ordnung bringen, unseren Handel und unsere Zahlungsbilanz ausgleichen, dann müssen eine Menge anderer Leute sich auch anpassen.

TEIL 3

ZEIT: Wann schwappte die Krise der Finanzmärkte über auf die Realwirtschaft – nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers?

Shultz: So heißt es immer. Aber ich denke, es steckt mehr dahinter. Unsere Leute, die in der Regierung für die Finanzen zuständig sind, sind zum Kongress gegangen und haben dort verkündet: Der Himmel stürzt ein! Wir brauchen 700 Milliarden Dollar, wir können euch aber nicht sagen, wofür wir sie brauchen. Die Botschaft, die ankam, war: Die Lage ist furchtbar, und die zuständigen Leute wissen nicht, was sie tun sollen.

ZEIT: Könnte aus der Krise eine Depression werden wie im Jahr 1929?

Shultz: Das glaube ich nicht. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Was damals geschah, war so viel gewaltiger als alles, was heute zu erwarten ist.

ZEIT: Ist das Zutrauen der Amerikaner in ihre Finanz- und Wirtschaftselite zerstört?

Shultz: Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass die Leute, die das Problem geschaffen haben, in der Lage sind, es zu lösen. Man braucht frisches Denken, das Gefühl, dass jetzt Leute von Ansehen und Integrität ans Ruder kommen, Leute, die langfristig denken.

ZEIT: Hat das angelsächsische Modell des Kapitalismus ein Legitimationsproblem?

Shultz: Nein, ich denke, es ist das beste Modell. Wir wissen doch, wie traurig die Alternative ist, die Staatswirtschaft. Funktioniert nicht!

ZEIT: In Europa erleben wir ein Comeback des Staates, Banken werden nationalisiert. Auch in Amerika scheint der Staat zurückzukehren.

Shultz: Das war es, was ich vorhin sagte. Man muss aufpassen, damit das, was man tut, um die unmittelbaren Probleme zu lösen, auch langfristig klappt. Es ist eine Menge Geld in die Banken gesteckt worden; sie sind zwar nicht nationalisiert worden, aber genug Regierungsgeld ist geflossen. Die Citigroup war gerade im Begriff, für 50 Millionen Dollar einen neuen Firmenjet zu kaufen, da hat man ihnen gesagt, lasst das sein. Warum muss ihnen das überhaupt jemand sagen! Werdet endlich nüchtern! Jedenfalls ist es keine gute Idee, dass auf lange Sicht die Regierung Kredite an die Wirtschaft verteilt.

TEIL 4

ZEIT: Staatskapitalismus ist also nicht die Alternative?

Shultz: Nein.

ZEIT: Es wird darüber diskutiert, ob es einen neuen Wettbewerb gibt zwischen dem liberalen, marktwirtschaftlichen Modell des Westens und dem autoritären System, das in China oder auch in Singapur ganz gut zu funktionieren scheint.

Shultz: Es ist das Modell des freien Marktes, das uns nach dem Zweiten Weltkrieg diesen erstaunlichen Wohlstand beschert hat. Einfach fantastisch! Es ist zu Exzessen gekommen, die uns derzeit wirklich ernste Probleme bereiten.

ZEIT: Barack Obama hat in seiner Antrittsrede von einem »nagenden Gefühl des Abstiegs in Amerika« gesprochen. Gibt es in den Vereinigten Staaten eine Krise des Selbstvertrauens?

Shultz: Wir haben Massen von fähigen, kompetenten Leuten. Ich hoffe, viele von ihnen finden sich in der Regierung Obama wieder. Unsere Unternehmen, genau wie die deutschen, werden sehr gut geführt, arbeiten sehr tüchtig. Und im Grunde geht es ihnen gut. Wir sind noch immer sehr kreativ. Schließlich bin ich hier an der Stanford-Universität. Schauen Sie sich die Spin-offs an: Hewlett Packard, Google, Yahoo, Cisco, dazu die Biomedizin. Dieser Ort ist eine intellektuell-wissenschaftliche Brutstätte von Ideen.

ZEIT: In jüngster Zeit haben Sie versucht, die Diskussion über die atomare Abrüstung neu zu beleben. Mit Henry Kissinger, dem früheren Senator Sam Nunn und Exverteidigungsminister William Perry haben Sie im Wall Street Journal zwei viel beachtete Artikel über eine »Welt ohne Nuklearwaffen« veröffentlicht. Jetzt scheint die Politik zu reagieren.

Shultz: In Deutschland haben Helmut Schmidt und andere in einem Zeitungsbeitrag unser Anliegen kräftig unterstützt. Und im Weißen Haus hat der neue Präsident Barack Obama eine Website – er ist ein digitaler Präsident! –, auf der unsere Bemühungen ausdrücklich begrüßt werden. Obama sagt dort, er wolle für eine atomwaffenfreie Welt arbeiten. Die Sache kommt also voran. Es ist unser Job als Privatpersonen, den Regierungen zu helfen, wenn sie sich der Sache annehmen. Aber danach ist es deren Baby.

ZEIT: Sie sehen also den politischen Willen, Ihr Anliegen zu unterstützen?

Shultz: Schauen Sie auf Obamas Website! Und der russische Außenminister Lawrow hat vor einem Jahr in Genf eine interessante Rede gehalten, in der er Unterstützung für unsere Idee geäußert hat. Niemand sagt: Was immer sie vorschlagen, ich bin dafür! Es heißt vielmehr: Das ist eine sehr spannende Idee, sie verlangt eine Menge Arbeit; aber wir sind bereit, daran mitzuarbeiten. Wenn die Menschen plötzlich erkennen, aha, die Staatenlenker sind in der Lage, ein ernstes Problem zu erkennen und anzupacken, etwas Konstruktives zu unternehmen, das die Welt sicherer macht, dann werden sie einen Stoßseufzer der Erleichterung tun und sagen, vielleicht gibt es ja doch Hoffnung. Erinnern Sie sich an den alten Cartoon: »Halt die Welt an, ich will abspringen«? Well, die Menschen werden jetzt sagen: Halte die Welt nicht an, ich will draufbleiben! (lacht)

TEIL 5

ZEIT: Ende des Jahres läuft das Start-Abkommen aus. Wird es erneuert werden?

Shultz: Es wäre entsetzlich, wenn wir das Abkommen auslaufen lassen würden. In der langen Zeit, in der Russland und die Vereinigten Staaten den Vertrag nun anwenden, ist ein solcher Fundus an Wissen entstanden, wie man Vereinbarungen verifiziert. Das ist entscheidend, um den Abrüstungsprozess fortsetzen zu können.

ZEIT: Es kommt also wieder Bewegung in die Abrüstung und Rüstungskontrolle?

Shultz: Nach dem Ende des Kalten Krieges ist das Thema Nuklearwaffen vom Tisch gefallen. Die Menschen haben es vergessen. Was unsere Artikel vielleicht bewirkt haben: Sie haben die Menschen aufgeweckt und sie ermahnt, dem Abrüstungsthema wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Denn wir gehen in die falsche Richtung.

Das Gespräch führte Matthias Nass