Weltwirtschaftskrise
Hoch die Solidarität
Von Bernd Ulrich | © DIE ZEIT, 12.02.2009 Nr. 08
- Schlagworte:
- Solidarität
- Wirtschaft
- Finanzkrise
Wie Deutschland durch die Weltwirtschaftskrise kommen kann: Wir alle müssen teilen – die Arbeit und den Lohn. Denn die Regierung allein kann die steigende Arbeitslosigkeit nicht verhindern
Die drei Fragen zur Krise, die einen am dringlichsten interessieren, kann zurzeit niemand beantworten: Wie tief wird sie, wie lange dauert sie, wie kommen wir am schnellsten wieder raus? Doch dahinter liegt eine andere Frage, die weiter geht und die sich besser beantworten lässt: Wie viel Glück, bescheidener: Zufriedenheit, kann uns die Krise nehmen?
Kaum jemand wird bestreiten, dass es diese Gesellschaft leichter hat, wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst, wenn es mehr zu verteilen gibt, wenn man überall etwas drauflegen kann, damit es läuft wie geschmiert. Darum wäre es albern, jetzt, da dem Land deutliches Minuswachstum droht, plötzlich die Freuden der Knappheit zu entdecken. Nein, das wird keine heitere Bekehrung zu den inneren Werten, sondern eine recht harte und schmerzhafte Phase.
Auf der anderen Seite beruht das in den zurückliegenden Jahrzehnten wohl entstandene Mehr an Zufriedenheit nur teilweise auf dem Wachstum an Gütern und Dienstleistungen. Vielmehr ist Deutschland alles in allem ein besserer Ort zum Leben geworden, weil es sich kulturell entwickelt hat: Die Frauen sind emanzipiert, oft auch die Männer; die Kinder können viel früher mitreden als noch vor dreißig Jahren, sie zu schlagen gilt heute gemeinhin als Schande; die Toleranz gegenüber Minderheiten hat zugenommen. Nicht zuletzt hat sich die Atmosphäre in den Betrieben geändert. Eine neue, nichtautoritäre Generation wächst in die Führungspositionen hinein, für die es ein selbstverständliches Ziel ist, bei aller Leistungsorientierung niemanden zu demütigen. (Natürlich waren auch die vermeintlich antiautoritären 68er oft autoritär, sobald sie dazu Gelegenheit hatten.)
All das bestimmt die Lebensqualität in diesem Land mit – und keine Krise kann es uns nehmen, wenn wir es uns nicht nehmen lassen. All das bestimmt aber auch die Art und Weise, wie Deutschland durch die Krise kommt. Wohlgemerkt: nicht wie es heraus-, sondern wie es hindurchkommt.
Dazu hat die Politik bisher wenig gesagt. Mit mehr Fleiß allein wird es angesichts dieser gewaltigen, fast unheimlichen Wirtschaftskrise nicht getan sein. Auch bloßer individueller Verzicht wird nicht genügen. Schon gar nicht kann ein allmächtiger Staat alle an die Hand nehmen und es sozusagen anstelle des Volkes richten.
Was nun kommen muss, ist etwas anderes: eine Phase der Solidarität. Solidarität – sobald man dieses Wort hinschreibt, möchte man es sogleich wieder zurücknehmen, klingt es doch nach Reichensteuer, Neid und saurem Zwang. Doch ist dem Land im Moment nicht geholfen, wenn die da oben etwas mehr geben, denn das wird den Hauptfeind in der Krise nicht vertreiben: die Angst. Es hilft nicht, wenn wenige etwas tun müssen, es hilft nur, wenn (fast) alle etwas tun können.
Aber was? Im Kern der Krise, am Grund der Angst sitzt die Arbeitslosigkeit. Die Prognosen darüber, wie sehr sie steigen wird, gehen auseinander. Aber Prognosen sind hier auch sekundär. Wenn diese Wirtschafts- und Finanzkrise unabsehbare Dimensionen hat, dann kann schon ein geringer Anstieg der Arbeitslosenzahlen dazu führen, dass die Mehrheit Angst bekommt. Das Land kriegt schwere Füße. Und seine Regierung – egal, welche – kann allein wenig dagegen tun.
»Arbeit für die Menschen – das ist der Maßstab unseres Handelns.« Das sagt die Bundeskanzlerin. Doch ihr Versprechen bezieht sich nur auf die Politik, sie spricht hier ein falsches »unser«, ein verkürztes »wir« an. Schon Merkels Vorgänger hat sich daran verhoben, und dessen Wirtschaftskrise war noch relativ harmlos. Wenn heute die Politik meint, die Arbeitslosigkeit bekämpfen zu können, so treibt sie das in immer neue Schulden. Oder es verführt zu Protektionismus. Der hilft zunächst schnell und schadet dann dauerhaft.
TEIL 2
Auch das Angebot einiger großer Unternehmer, sich zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu verpflichten, hat nur eine begrenzte Reichweite, so lobenswert der Ansatz auch sein mag.
In dieser neuen Krise lässt sich die Arbeitslosigkeit wohl nur begrenzen, wenn viele von denen, die Arbeit haben, daran mittun. Und natürlich deren Arbeitgeber.
Verzicht für Kollegen oder Verzicht auf Kollegen – das ist die Frage
In diesem Jahr 2009 und in den Jahren danach werden unzählige Unternehmen wie auch öffentliche Einrichtungen an den Punkt kommen, an dem es ohne die Verringerung von Personalkosten nicht mehr weitergeht. Das stellt Unternehmer und Belegschaften vor eine klare Alternative: Entweder man schmeißt die Jüngsten und die Schwächsten, die mit den ungesicherten Verträgen, raus, was, so steht zu befürchten, oft der erste Reflex sein dürfte. Oder aber: Man sucht nach solidarischen Lösungen, damit alle an Bord bleiben können, also Arbeitszeitverkürzung, vorübergehender Lohnverzicht et cetera. Modelle dafür gibt es viele, nicht nur bei VW.
Die solidarische Lösung stellt Anforderungen an die Kernbelegschaften, an all jene also, die hoffen, ungeschoren durch die Krise zu kommen, wenn nur genügend Zeitarbeiter oder Pauschalisten entlassen werden. Sozusagen: Proletariat gegen Prekariat, Redakteur gegen Volontär, Facharbeiter gegen Hilfsarbeiter.
Wenn es anders läuft und tatsächlich eine größere Bereitschaft zur Solidarität unter den Arbeitnehmern entstehen sollte, so sind als Nächstes die Arbeitgeber gefragt. Denn so wird es ja nicht gehen, dass alle verzichten außer den Besitzern, den Aktionären und den Vorständen.
Ob Arbeitgeber und Kernbelegschaften sich solidarisch verhalten, hängt zunächst von Argumenten ab. Zum Beispiel vom Qualitätsargument. Schließlich bedeutet in den meisten Branchen jeder einzelne Arbeitnehmer auch eine eigene Farbe, eine eigene Qualifikation – und seine betriebsbedingte Kündigung dementsprechend einen Qualitätsverlust. Denn es ist auch in der Krise nicht so, dass jene entlassen werden dürften, die ihre Leistung nicht bringen können oder wollen. Das deutsche Kündigungsrecht gehorcht ganz anderen Kriterien.
Argumente werden jedoch nicht ausreichen, Anreize müssen hinzukommen. Da hat die Bundesregierung mit der Verlängerung der Kurzarbeiterregelung und mit der Übernahme von Sozialleistungen für Kurzarbeiter schon einen wichtigen Schritt gemacht.
TEIL 3
Auch Anreize werden jedoch kaum genügen, in einer solchen Welt leben wir nicht. Das Wichtigste ist der gesellschaftliche Druck. Es muss eine Atmosphäre entstehen, in der jedes Unternehmen – Chefs wie Angestellte – unter massiven Legitimationsdruck kommt, wenn es zu Kündigungen greift anstatt zu einer solidarischen Lösung. So wie es in den vergangenen Jahren einen erheblichen Druck zu mehr Leistung gegeben hat – was richtig war und bleibt –, so muss es nun einen Druck zu mehr Solidarität geben.
Diesen Druck aufzubauen, das ist eine noch ausstehende Aufgabe der Regierung. Operativ hat sie in dieser Krise schon einiges getan, normativ noch fast nichts. Nun muss sie die Krise in eine Aufgabe verwandeln, die zu lösen unsere Gesellschaft mithelfen kann.
Diese Art von Solidarität ist im Übrigen gleichbedeutend mit Zuversicht. Denn wer seine Belegschaft erhält, gibt damit zu verstehen, dass er glaubt, sie nach der Krise wieder zu brauchen, weil die Firma dann erneut wächst. Er signalisiert: Es gibt ein Leben nach der Krise.
Selbstverständlich wird es trotz allen Bemühens auch Firmenpleiten geben, natürlich wären einige Unternehmen auch ohne Weltwirtschaftskrise in Nöten, weil sie einfach schlecht gewirtschaftet haben. Darum kann und soll ein gesellschaftlicher Solidarpakt nicht alle Probleme lösen. Er kann auch nicht ewig halten, weil Verzicht keine Dauerlösung sein kann. Doch ein paar Jahre hindurch kann er den Menschen helfen, die in diesem Land leben und die zu vielem imstande sind, wenn sie denn wissen, was ihre Aufgabe ist.
Solidarität, Qualität, Zuversicht – das passt ganz gut zu dem toleranten, nichtautoritären Land, das wir geworden sind. Es passt auch zu einer Generation von Führungskräften, die auf Gesichtswahrung und Respekt setzen – und die sich nun biografisch bewähren müssen, indem sie zeigen, dass diese humane Art nicht bloß etwas für postmoderne Luxuszeiten ist. So könnte Deutschland durch die Krise kommen.
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