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© Gerhard Bandorf 2008
BandorfConsult@t-online.de
„Wer nicht arbeitet, soll auch nichts essen!“
Immer wieder wird dieser Satz gerne als Beglaubigung und Eideshelferschaft der Richtigkeit
einer jedoch unselig dekadenten Argumentationsschiene aufgebrüht, wenn es in Diskussionen
um Sozialleistungen, Transferzahlungen, besonders um sogenannte Arbeitslosigkeit und
sogenannte Arbeitslose geht. Und man wird den Eindruck nicht los, daß dabei immer noch
ein gewisser Hurrapatriotismus mitzuschwingen scheint, wie weiland anno Vierzehn-Achtzehn,
als man für den Kaiser gegen den Erbfeind zum Piff-Paff-Paradauz in Schlachten zu ziehen,
bekränzt mit deutschem Eichenlaub unter Pickelhauben, antrabte. Jeder Stoß ein Franzos!
Jeder Schuß ein Ruß!
Es scheint dies Gebräu aus blinder Gefolgschaft und pietistischer Selbstgeißelung eine Halbwertzeit
von mindestens einem halben Dutzend Generationen zu haben. Gelobt sei was hart
macht! Heute ist die Wirtschaft an die Stelle von Kaiser und kirchlicher Obrigkeit getreten, für
die in die Schlachten der Arbeitswelt gezogen wird, bereit zur Selbstausbeutung, mit Treueschwüren
auf den Lippen wie damals. Hurrah, wir kämpfen den Evolutionskampf. Who is the
fittest? Who will survive?
Mit dem Satz, dessen biblische Herkunft von den wenigsten noch gewußt wird - er stammt aus
dem 2. Brief des Paulus an die Thessalonicher, Kapitel 3, Vers 10 -, wird versucht, wenn man
denn doch einmal hier und da den biblischen Ursprung aufgeschnappt hat, quasi mit Hilfe
einer fadenscheinig entlehnten biblischen Autorität zu untermauern, was in den Zusammenhängen
der Sozial- und Arbeitswelt utilitaristisch geboten sei, und daß es beispielsweise deshalb
richtig sei, etwa Sozialbezüge so gering wie möglich anzusetzen oder gar ganz abzuschaffen,
mindestens aber sie mit aufgezwungener Arbeit zu sanktionieren – ungeachtet dessen,
das Grundgesetz jeglichen Arbeitszwang untersagt. Aber Hurrah! Und wie gesagt, die
Halbwertzeit ist noch nicht überschritten.
Selbst Müntefering, immerhin ehemaliger Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales
der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert(!), fiel dieser Satz des öfteren aus dem
Schnabel, wenn er sich offensichtlich gedrängt fühlte philosophisch zu wirken und zur Thematik
was vermeintlich tief Gegründetes, epigonenhaft abzusondern.
Und es nimmt einen zudem doch schon wunder, daß dieser biblische Satz es bis in die, aus
atheistisch intendierter Gesinnung entstandene Verfassung der Sowjetunion(sic!) geschafft
hat, wo er seine endgültige Pervertierung erfahren hat. Wo er, man möchte sagen, auf Menschenverachtung
gedrillt worden ist.
In der Verfassung der UdSSR findet man ihn wieder. Der Artikel 12 der Verfassung der UdSSR
vom 5. Dezember 1936 lautete: „Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen
Staatsbürgers nach dem Grundsatz: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen."
Nur ein beinahe unmerklich kleines Wörtchen hat man dort unterschlagen: will!
Etwas weniger noch an die biblische Herkunft angelehnt, steht dann in der Verfassung der
Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 7. Oktober 1977, in Artikel 14 geschrieben:
„Entsprechend dem Prinzip des Sozialismus ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner
Leistung’ kontrolliert der Staat das Maß der Arbeit und des Verbrauchs.“
Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen
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Hoppla, klingt da nicht das „Fördern und Fordern“ heutiger Tage an, das häre Loblied des
Sozialstaates auf die Solidarität von Nehmen und Geben, an das Motto der Hartz-Projekte,
die 2004 als Gesetz in Kraft getreten sind?
Nun soll hier nicht der Ort sein, wenn auch die Gelegenheit sich in diesem Zusammenhang
dazu mehr als anbietet, darzustellen, wie frappant ähnlich doch die bundesrepublikanische
Sozialgesetzgebung gerade mit den sogenannten 'Hartz-Gesetzen' dieser kommunistischen
Verfassung geworden ist. - Jedoch möchte man dennoch anmerken, daß das, was damals in
Gestalt eines Menschen im versiegelten Güterwaggon, mit dem Namen Lenin, gen Osten
exportiert worden ist, durch Ex-Bundeskanzler Schröder und seinen Kumpan Hartz als Gedankengut
gleichsam wieder auf bizarren Wegen reimportiert worden ist, und es scheint heute als
Wiederaufleben des Manchesterkapitalismus im „Freien Westen“ heimatliche Scholle zu riechen,
sich sehr wohl dabei zu fühlen und prächtig zu gedeihen.
Doch zurück zu Paulus. Spätestens seit nun dieser Satz des Paulus sich in die sowjetische Verfassung
verirrt hatte, ist seine Bedeutung zur rein exoterischen Auslegung verkommen.
Und die Benutzung dieser Bibelstelle - um im eigentlichen Kontext ihrer Herkunft zu bleiben,
kommt nun äußerst philister- und pharisäerhaft daher.
Denn es geht dort, in der Bibel, im Hort von Spiritualität, und besonders in dem infrage stehenden
Kontext eben nicht um eine äußere, exoterische Anweisung des Paulus in Bezug auf
profane Arbeit, sondern um eine Anleitung zu spiritueller Arbeit, und es geht dort nicht triviales
Essen, sondern es geht um das Brot der Erkenntnis(!), nicht jedoch um 'Maloche' mit Hammer
und Sichel!
So ist es auch vollkommen töricht, diese Bibelstelle in ihrer rein spirituellen Erkenntnisanleitung
durch Paulus umzudeuten und exoterisch zu interpretieren als äußere, dem Kollektiv volkswirtschaftlich
dienen sollende Maxime.
Es ist dieser Satz des Paulus: „Und da wir bei euch waren, geboten wir euch solches, daß, so
jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen“ eine rein spirituelle Schulungsanweisung
zur Erkenntnis der geistigen, höheren Welten.
Wer, als mit einigermaßen wachen Auges lebender Mensch, kennt denn dies nicht: die tatsächliche
Lebenswirklichkeit dessen, was menschliche Reifung betrifft, nämlich daß er in der
Erkenntnis, in seiner menschlichen Fortentwicklung, mit seinem Lebensverständnis, seinem sich
selbst und das Dasein darüber begreifen, und mit seiner Lebensweisheit nur durch eigene
innere Arbeit vorankommt, weil es eben dafür keinen Königsweg gibt. Nur das ist damit gemeint,
das Ringen um den Geist, die Arbeit der Erkenntnis um den Lebenssinn als geistige
Nahrung!
Es kommt kein Brot der Erkenntnis, keine geistige Nahrung und innere Errungenschaften ohne
seelisch-geistige Arbeit; keines, das durch inwendige Bequemlichkeit oder Trägheit des Herzens
gegenüber den Beteiligungen an den Lebensvorgängen entstehen könnte! Es unterscheidet
sich dieses Brot der Erkenntnis gerade von dem Sauerteig der Profanität. -: „Wie verstehet
ihr denn nicht, daß ich euch nicht sage vom Brot, wenn ich sage: Hütet euch vor dem
Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer? Da verstunden sie, daß er nicht gesagt hatte, daß
sie sich hüten sollten vor dem Sauerteige des Brots, sondern vor der Lehre der Pharisäer und
Sadduzäer.“ (Matthäusevangelium, Kapitel16, Verse 11 und 12)
Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen
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Oder um es auch mit Ernst Bloch zu sagen: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine
Arbeit entsagt nicht. Sie ist ins Gelingen verliebt, statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten
gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens
geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen, kann nicht genug von
dem wissen, was sie inwendig gezielt macht, was ihnen auswendig verbündet sein mag. Die
Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Tätige hineinwerfen, zu
dem sie selber gehören. Sie verträgt kein Hundeleben, das sich ins Seiende nur geworfen
fühlt, in Undurchschautes, gar jämmerlich Anerkanntes. Die Arbeit gegen die Lebensangst
und gegen die Umtriebe der Furcht, ist die gegen ihre Urheber, ihre größtenteils sehr aufzeigbaren,
und sucht in der Welt selber, was der Welt hilft; es ist findbar. Wie reich wurde allzeit
davon geträumt, vom besseren Leben geträumt, das möglich wäre.“
Wer allerdings eine äußere, im betriebs- und/odervolkswirtschaftlichen Sinn die Umdeutung
anfaßt, greift erstens zu kurz und überführt sich zudem dahingehend selbst, wie ihm Spiritualität
in doppelter Weise ein Fremdwort ist; wie lebensfremd er die spirituelle Anleitung des Paulus
nimmt, und wie äußerst oberflächlich er mit dieser ins Äußerliche getriebenen Interpretation
im Leben herumdümpelt. Man könnte versucht sein zu sagen, um im Bild zu bleiben, es
wird mit solcherlei Uminterpretierung jemand in gewisser Weise sogar zum saulusesken Ignoranten.
Es ist ja das gerade so, als würde man etwa in Bezug auf ein anderes Gebiet wie beispielsweise
das Verkehrswesen, den Transportbereich, die Begrifflichkeit der Fortbewegung nicht begreifen,
kein Verständnis aufbringen können für das Gebiet, und deswegen anfangen den
Begriff der Fortbewegung umzuinterpretieren als Geschehnisse von meinetwegen Zellteilungen
oder anderen diesem Gebiet fernstehendem.
Gerhard Bandorf,
Bad Honnef im März 2008