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Montag, den 5. Januar 2009 um 14:07 Uhr von Henrik Wittenberg
Ohne wirtschaftliche Perspektive, zumal in einem wohlhabenden Land wie dem unseren, ist auch die politische Teilnahme gefährdet. Wer permanent die Sicherung seiner Grundbedürfnisse verfolgen muss, hat wenig Lust, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Ohne Perspektive für mein eigenes Leben kann ich auch andere nicht für neue gesellschaftliche Perspektiven begeistern.
Erkenntnisse, die auf die Zunahme von gesellschaftlicher Exklusion hinweisen, finden sich nicht nur in aktuellen Studien durch Politologen und Soziologen (siehe Süddeutsche Zeitung “Das Verstummen der Armen” und “Dritter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung”), sondern sind auch aus Untersuchungen über ehrenamtliche Arbeit bekannt: Oft sind es diejenigen, die aufgrund ihrer finanziell abgesicherten Situation (Spitzenverdiener, Rentner mit hoher Rente bzw. Pension) den Luxus von Zeit und Gelegenheit besitzen, sich gesellschaftlich zu engagieren oder als Förderer von kulturellen Einrichtungen aufzutreten.
Hartz IV-Empfänger oder Ein-Euro-Jobber sind laut Statistik weniger in ehrenamtlichen Einrichtungen tätig, ungeachtet des mitunter starken Wunsches nach einem vermehrten persönlichen Engagement in diesem für unser Gemeinwesen so wichtigen Bereich (Das, am Existenzminimum herumkrebsende, abhängig Beschäftigte ebenso unterrepräsentiert sind, dürfte alle, die sich schon in solchen Beschäftigungsverhältnissen “verwirklichen” durften, nicht sonderlich überraschen.).
Dies ist nicht nur ungerecht sondern entspricht auch nicht dem Bedürfnis vieler Menschen, die vom “regulärem” Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, jedoch der Gemeinschaft mehr zu geben hätten und dies auch gerne tun würden. Hier besteht die Gefahr, dass das Fundament unserer Gesellschaftsordnung nachhaltig beschädigt wird.
Brauchen wir darum für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Teilnahme an demokratischen Prozessen nicht auch ein wirtschaftliches Bürgerrecht (”Demokratie braucht Sicherheit!”)? Die Politik(er)-Verdrossenheit und die soziale Verunsicherung steigen in dem Maße, wie uns Bürgern das Projekt Globalisierung als “naturähnlicher”, unausweichlicher und kaum gestaltbarer Prozess begegnet, der für eine solidarisch gestaltbare Gesellschaftsentwicklung wenig Spielräume offen lässt.
Ein Wirtschaftssystem, das unter ethischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten funktionieren soll, bedingt allerdings nicht nur einen starken, handlungsfähigen Staat, sondern auch demokratische und wirtschaftliche Freiheit, die uns Bürgern gestattet, den allgemeinen “Kurs” auf nationaler und internationaler Ebene mitzugestalten (z.B. durch neue Regeln für Arbeits- und Finanzmärkte, aber auch mit Hilfe von neuen Steuer- und Sozialsystemen).
Demokratische Freiheit bedeutet: Ich kann mich jederzeit im Rahmen meines Bürgerstatus (Staatsbürgerschaft/Aufenthaltsberechtigung) an der Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens beteiligen, z.B. durch soziale, politische und kulturelle Tätigkeiten. In einem Umfang, den ich selbst für angemessen halte. Allerdings ohne dadurch wirtschaftliche oder politische Sanktionen in Form von Arbeitsplatzverlust oder “Maßnahmen” der Sozialbürokratie befürchten zu müssen.
Wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeutet: Ich muss mir nicht die Bedingungen diktieren lassen, unter denen ich arbeiten muss, da ich ja durch mein wirtschaftliches Bürgerrecht nicht mehr ausschließlich vom Lohn als alleiniger Existenzgrundlage abhängig bin. Es bedeutet aber auch, dass ich als Konsument im Wirtschaftskreislauf Verantwortung besitze (”Einkommen verpflichtet.”). Denn ob es durch die Wahl meiner Produkte und Dienstleistungen auch sozial und fair in den Herkunftsländern und deren Produktionsstätten zugeht, wird nicht zuletzt durch mein (Kauf-)Verhalten beeinflusst.
Ausgestattet mit einem wirtschaftlichen Bürgerrecht könnte ich als Konsument meine Markt- und Konsumentenmacht in einem größeren Umfang ausspielen, in dem ich z. B. Produkte und Dienstleistungen vermehrt unter ethischen und ökologischen Aspekten kaufe bzw. in Anspruch nehme und damit meine Wertvorstellungen zum Ausdruck bringe. Es gibt nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen moralischen Fußabdruck, den wir in dieser Welt hinterlassen.
“One man, one income”
Dafür sind aber mindestens zwei Dinge notwendig: Erstens, eine aufgeklärte, demokratische Gesellschaftsordnung, deren Bürger sich ihrer Macht und ihres Einflusses auf den Verlauf der Globalisierung bewusst werden. Und zweitens, ein wirtschaftliches Bürgerrecht (”Recht auf Einkommen”), das in Zukunft jedem Bürger den materiellen Hebel zur Durchsetzung seiner Vorstellungen in die Hand gibt (früher: “One man, one vote” – heute: “One man, one income”).