Niall Ferguson: Der Aufstieg des Geldes
Geld allein macht nicht unglücklich
Von Jürgen Kaube
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12. März 2009 Alle bisherige Geschichte ist eine Geschichte von Gläubiger-Schuldner-Beziehungen. Ist das Niall Fergusons These? Sollte ein Historiker den Mut haben, die freigewordenen Stellen im Basis-Überbau-Schema neu zu besetzen und dort, wo einst Produktionsverhältnisse standen, Zahlungsformen einzusetzen? Oder geht es Ferguson nur um einen dramatischen Auftakt zu etwas dann doch weniger Ambitioniertem?
Das Geld, heißt es in der Einleitung zu seiner Weltfinanzgeschichte, sei die Wurzel „beinahe allen Fortschritts“. Also doch nur beinahe und auch nur des Fortschritts, für Rückschritte scheint anderes die Wurzel, womit die Geschichte also mindestens zwei Hauptmächte hätte. Ein paar Sätze später schreibt er, die Entwicklung des Kreditwesens sei für die Entwicklung der Zivilisation „ebenso wichtig“ gewesen wie technische Erfindungen. Und die Medizin, das Recht, die Algebra, das Kino? Die Pracht der Renaissance, heißt es weiter, „beruhte“ auf dem damaligen Bankwesen, für die niederländischen und britischen Kolonialreiche hätten Kapitalgesellschaften die „unentbehrliche Grundlage“ gebildet. Ferguson pflegt also eine Nicht-ohne-Theorie: Alles Mögliche hätte es nicht ohne seine Finanzierung gegeben. Der nächste Abschnitt behauptet schließlich, hinter jeder großen historischen Erscheinung verberge sich „ein finanzielles Geheimnis“. Ein Geheimnis als Grundlage von allem?
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An all diesen Formulierungen erkennt man gleich zu Beginn des Buches den Sachbuchautor im Unterschied zum Wissenschaftler und den Historiker im Unterschied zum Theoretiker. Den Sachbuchautor, denn Ferguson will nicht einfach nur Wirtschaftsgeschichte schreiben. Was er auf gut dreihundert Seiten zu liefern beansprucht, ist vielmehr ein Schlüssel zum Verständnis einer Gegenwart, die durch Wirtschaftsfragen fasziniert, vielleicht aber auch geblendet ist. Das Buch ist auf die Finanzkrise kalkuliert, immer wieder erörtert Ferguson darum auch Vorgänge, von denen gar keine Geschichte geschrieben, sondern bislang höchstens kolportiert werden kann, weil diese Vorgänge noch andauern oder es keine zuverlässigen Quellen für sie gibt: den Zusammenbruch des Long Term Capital Managment-Fonds (LCTM) etwa, der 1998 eine nobelpreisprämierte Formel für Optionspreise falsifizierte, den Enron-Fall, bei dem 2001 ein Energiekonzern durch Bilanzfälschungen betrügerisch Milliarden entwendete, oder eben das Hypothekenspekulationsdesaster unserer Tage.
Erklärungen und Thesen, die nicht recht zusammenpassen
Ferguson informiert über solche Geschehnisse im Stil der Wirtschaftsreportage. Er führt seine Leser vom spanischen Goldimport aus den Kolonien zur Kreditwirtschaft in Oberitalien um 1200, macht Exkurse zur Geldentstehung und zum Tausch in einfachen Gesellschaften, beschreibt die Gründung der ersten Banken und die der Aktiengesellschaften sowie die Erfindung verschiedener Finanzierungstechniken, insbesondere der Staatsanleihen, und erörtert das Phantasma, Geld repräsentiere Gold, nicht ohne ihm selbst anheimzufallen, wenn er die Lösung vom Gold historisch für Inflation verantwortlich macht. Das passiert ihm öfter, dass er ökonomische oder soziologische Thesen hinsetzt, ohne dass ersichtlich wäre, wie er zu ihnen kommt. Ohne eine angemaßte Expertise im „Fraglos gilt“-Stil scheint das Reden über Wirtschaft auch hier nicht auszukommen.
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* „Der Aufstieg des Geldes“ von Ferguson, Niall
Historiker im Unterschied zum Theoretiker ist Ferguson, weil er sich nicht zu einem stabilen Begriffsgebrauch und klaren Thesen verpflichtet sieht. Darum kann er gleichzeitig behaupten, aller Fortschritt hänge an der Wirtschaft und die Wirtschaft an der Finanz, um nur wenig später zu erzählen, dass die Finanz zu Zeiten ihrerseits an der Mathematik hing, an der Politik, der Schiffstechnik, am Recht oder an falschen ökonomischen Theorien. Mal sind für ihn die Doktrinen des Monetarismus das Nonplusultra der Geldpolitik, mal hat der Postkeynesianismus das treffende Wort, mal auch die Psychologie des von irrationalem Überschwang hingerissenen homo speculativus, mal auch einfach nur George Soros.
Viel Wikipediawissen und Halbbildungserlebnisse
Das passt natürlich alles nicht ganz zusammen: Ein Monetarist beispielsweise würde im Geld nie den Ausdruck einer Gläubiger-Schuldner-Beziehung sehen. Dass Banknoten Zahlungsversprechen seien, wie Ferguson mit dem Hinweis darauf schreibt, auf jedem englischen Geldschein stehe, die Bank von England zahle dem Inhaber auf Verlangen die entsprechende Summe, ist, näher betrachtet, eine rührender Irrtum. Die Bank von England wechselt Pfundnoten allenfalls, andere Zahlungen erhält man, genauer: erhalten Geschäftsbanken von ihr nur, wenn sie selber ein Zahlungsversprechen abgeben, nämlich der Zentralbank Zins zu zahlen.
Oder nehmen wir die These vom Aufstieg des Geldes zum Stoff, aus dem die Geschichte ist. Ist es wirklich das Geld? Ferguson scheint dem selbst nicht ganz zu trauen, denn mal steht im Zentrum des Wirtschaftslebens bei ihm die Spekulation, mal die Versicherung, mal die Beleihung, mal auch die Handelsfinanzierung oder der Zahlungskreislauf im Wohlfahrtsstaat. Zwischen Geld, Kredit, Einkommen, Einlagen, Vermögen, Liquidität und Kapital wird dann nicht mehr zuverlässig unterschieden. Der Historiker steht dafür zu stark unter dem Eindruck seines Gegenstandes. Einen Begriff der Finanzwelt erhält man auf diese Weise nicht, aber stattdessen reichlich bunte Anschauung, eine Menge Wikipediawissen – Was ist ein Swap? Wie entstand die Versicherungsmathematik? Was war noch einmal die „Savings and Loans“-Krise? – und anregende Halbbildungserlebnisse. Immerhin, es liest sich gut, man vermisst mitunter den roten Faden, langweilt sich aber nie.
Und wo bleiben die Zentralbanken in einer Finanzgeschichte?
Interessant ist die Frage, wer die Akteure der Finanzgeschichte sind. Einerseits haben bei Ferguson die großen Finanzhäuser und auch die großen Betrüger alle ihren Auftritt: die Medici, die Ostindischen Kompanien, John Law, der das französische Königtum ruinierte, das Bankhaus Rothschild, über das Ferguson ein monumentales Werk geschrieben hat, Lloyds und andere große Versicherungen, LCTM, Enron, Freddie Mac und Fanny Mae. Entweder finanzieren sie Kriege und andere Staatsaktionen, oder sie sind gerade dabei, Gutgläubigen das Fell über die Ohren zu ziehen, meistens tun sie beides zugleich. Ferguson hätte darum genauso gut formulieren können, Geld sei die Wurzel beinahe aller Bauernfängerei.
Merkwürdigerweise wird demgegenüber die Geschichte derjenigen Organisationen, die das Geld, wenn es gutgeht, in die Wirtschaft bringen oder es aus ihr herausziehen, die Geschichte der Zentralbanken also, eher beiläufig behandelt. Sie treten auf, wenn es um den Schwarzen Donnerstag und andere Krisen geht, ihre eigenständige Stellung zwischen Staat und Marktwirtschaft sieht der Autor nicht.
Mehr Kontroverse hätte nicht geschadet
Daneben existiert in Fergusons Darstellung noch ein anderer Blick auf die Wirtschaftsgeschichte, der in ihr viel anonymere Kräfte am Werk sieht. Für ihn ist sie die Geschichte oder besser vielleicht: die Evolution von Organisations- und Vertragsformen. In seiner Schlussbetrachtung ist von „Finanzorganismen“ die Rede, von Firmen, die mutieren, wenn sie andere Firmen schlucken, vom Aufstieg neuer Arten wie Hedge-Fonds oder Derivaten. Merkwürdig aber, dass diese Terminologie im Hauptteil des Buches keine Rolle spielt.
Und noch eine letzte Frage wirft das Buch auf. Wie würde Niall Ferguson, der sich selber selten Einwände macht und selten etwas als kontrovers darstellt, wohl auf jemanden reagieren, der ihm entgegnete, „dass das Geld ebensowenig die Welt in Bewegung setzt, wie sich Dostojewskis Gestalten in ,Schuld und Sühne‘ nach Logarithmentafeln richten“, und dass es vielmehr politische Ereignisse, vor allem Kriege waren, „die die Institutionen des modernen Wirtschaftslebens wie steuereintreibende Bürokratien, Zentralbanken, Anlagemärkte und Aktienbörsen ermöglicht haben“? Das war Niall Ferguson 2001, in einem Buch, „The Cash Nexus“, in dem behauptet wurde, Geld sei nicht die Währung der Geschichte. Würde er wohl sagen: „Was geht mich mein Sachbuch von gestern an?“
Niall Ferguson: „Der Aufstieg des Geldes“. Die Währung der Geschichte. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt. Econ Verlag, Berlin 2009. 368 S., geb., 24,90 €.
Buchtitel: „Der Aufstieg des Geldes“
Buchautor: Ferguson, Niall
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: Econ Verlag