Dienstag, 21. Juli 2009

Rede zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum G-8-Weltwirtschaftsgipfel vom 8. bis 10. Juli 2009

http://www.guido-westerwelle.de/Reden/909c85i35/index.html

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Rede von Dr. Guido Westerwelle

zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum
G-8-Weltwirtschaftsgipfel vom 8. bis 10. Juli 2009
Rede im Deutschen Bundestag am 2. Juli 2009

(Stenographisches Protokoll)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung zu jedem Punkt der Tagesordnung, die auf dem G-8-Gipfel in L’Aquila ansteht, etwas gesagt. Das soll auch so sein. Spannend ist aber, was gesagt wird, und vor allen Dingen, wozu nichts gesagt wird. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben über die Notwendigkeit gesprochen, dass - das ist ein zentrales Anliegen deutscher Politik - die Bankenaufsicht, sprich: die Finanzmarktaufsicht, stärker reguliert werden muss. Wir sind in der Tat in diesem Hause einer Meinung, dass es international entsprechende Regeln braucht, gerade für Finanzen und Finanzströme. Aber wer international eine bessere Finanzmarkt- und Bankenaufsicht fordert, muss sie erst einmal national - für uns: in Deutschland - hinbekommen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Es ist jetzt die ich weiß nicht wievielte Regierungserklärung, die die Bundesregierung seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise zu dem Thema abgegeben hat. In Ihrer Regierungserklärung vom 7. Oktober 2008, im Herbst des letzten Jahres, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, eine Neuregelung der nationalen Bankenaufsicht angemahnt und angekündigt. Bis heute bringen Sie sie nicht zustande. Bis heute bleibt es bei der Zersplitterung der nationalen Bankenaufsicht in Finanzministerium, BaFin und Bundesbank. Spannend bei solchen Regierungserklärungen ist, wozu Sie nichts sagen, weil Sie sich in Ihrer Regierung nicht mehr einigen können. Die nationale Bankenaufsicht muss neu geregelt werden. Sie ist eine der Ursachen für das Versagen der Kontrollmechanismen, das zur Krise geführt hat. Wer international mit Autorität auftreten will, der muss erst einmal seine eigenen Hausaufgaben machen. Das haben Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, nicht getan.
(Beifall bei der FDP)

Seit Monaten wird das immer und immer wieder von Ihnen angemahnt, aber nichts passiert.
Nehmen wir den nächsten Bereich. Natürlich ist es richtig, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Regierungserklärung für Ihre Bundesregierung die Notwendigkeit einer vernünftigen Klimapolitik unterstreichen. Es ist auch richtig - wir begrüßen das -, dass Sie das 2-Grad-Ziel in dieser Regierungserklärung noch einmal benannt haben. Worüber Sie wiederum nicht gesprochen haben, ist das, worüber Sie nicht mehr sprechen können, weil Sie sich auch darüber in dieser Regierung nicht einig sind, nämlich wie man eine bessere Klimapolitik erreicht und welches die Instrumente sind, die Sie international anbieten und über die Sie verhandeln wollen. Natürlich wollen wir auf mehr regenerative Energien setzen - gar keine Frage -; aber wir brauchen eben auch einen Energiemix. Die Instrumente einer besseren Klimapolitik liegen vor allen Dingen in der intelligenten Energiepolitik.
(Beifall der Abg. Gudrun Kopp (FDP))

Zur Energiepolitik sagen Sie in dieser Regierungserklärung nichts, aber auch gar nichts, weil Sie sich nicht einig sind. Deswegen sagen wir hier: Sie müssen in Ihrer Regierung Klarheit schaffen. Was sagen Sie denn zur nuklearen Energiegewinnung? Alle anderen G8-Staaten setzen im Interesse des Klimaschutzes auch auf die sichere Kerntechnik.
(Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Was sagen Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, dazu?
(Beifall bei der FDP - Thomas Oppermann (SPD): Nein sagen wir dazu!)

Wir brauchen diese Überbrückungstechnologie. Es ist am heutigen Tag wieder offensichtlich geworden, dass Sie sich nicht einig sind. Wir sagen dazu: Was macht es für einen Sinn, dass wir in Deutschland aus der modernsten und sichersten Kerntechnik, die es auf der Welt gibt,
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aussteigen, um am Tag danach den Strom aus sehr viel unsichereren Kraftwerken aus dem Ausland einzukaufen? Energiemix ist die beste Antwort auf den Klimawandel.
(Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann (SPD): Sehr gutes Thema!)

Es ist übrigens sehr interessant, wie auch hier darauf reagiert wird. Das belegt meine These, dass Sie in Wahrheit in Ihrer Regierung nicht mehr zur Einigkeit finden. Das hat man soeben in diesem Hause an der Reaktion bemerkt. Am heutigen Tage hat Ihnen Ihr eigener Umweltminister in der Klimapolitik Widerstand entgegengesetzt.

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben etwas zum Thema Abrüstung gesagt. Sie haben die Reise nach Washington zu guten und erfolgreichen Gesprächen genutzt, was uns freut. Aber wer zur Abrüstungspolitik etwas sagt, dann jedoch beispielsweise die Initiative von Präsident Obama in Prag in seiner Regierungserklärung völlig ausspart, der zeigt wiederum, dass zu wenig Einigkeit in der Regierung bei fundamentalen internationalen Anliegen Deutschlands herrscht.

Die Frage ist: Was tun Sie denn jetzt zur Unterstützung der Vision einer nuklearwaffenfreien Welt von Präsident Obama? Ist das auch eine Vision der Bundesregierung? Was sagen Sie zur konventionellen und nuklearen Abrüstung? Ich würde gerne von der Bundeskanzlerin, wenn sie zu diesem Gipfel spricht, hören, dass sie Präsident Obama nicht nur besucht, sondern ihn beim Thema Frieden und Abrüstung auch nachdrücklich unterstützt. Das hätten Sie, Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Regierungserklärung sagen müssen.
(Beifall bei der FDP)

Was werden Sie auf nationaler Ebene beispielsweise bezüglich der nuklearen Sprengköpfe, die noch in Deutschland lagern, tun? Wird das ein deutscher Beitrag zur Abrüstung und zu Friedensinitiativen in der Welt sein? Werden Sie in Gespräche mit den Verbündeten eintreten, um die letzten verbliebenen nuklearen Sprengköpfe, die wir in Deutschland als Relikte des Kalten Krieges haben, abzuziehen? Auch dazu gibt es keine gemeinsame Auffassung in der Regierung, und deswegen wird dazu hier auch nichts gesagt.

Sie haben etwas zur Afrikapolitik gesagt. In der Allgemeinheit kann man dem nur zustimmen. Sie haben auch etwas zur Entwicklungshilfe gesagt. In der Allgemeinheit kann man Ihnen im Großen und Ganzen nur zustimmen. Aber Konkretes kommt auch dazu nicht. Warum nicht? Weil Sie in der Regierungskoalition wiederum keine Einigkeit haben. Einfach nur zu sagen, Deutschland gebe im internationalen Vergleich das zweitmeiste Geld für Entwicklungshilfe aus, ist zu wenig. Es geht nicht nur darum, wie viel Geld man für die Entwicklungshilfe ausgibt, sondern auch darum, wo und bei wem es landet, ob es eine bessere Politik bewirkt, ob es sich tatsächlich um eine humanitäre Hilfeleistung handelt. Dass wir uns beispielsweise beim G-8-Gipfel treffen und wir Deutsche G-20-Ländern, also Schwellenländern, die mit uns bei G-20-Treffen am Tisch sitzen, Entwicklungshilfe geben, ist keine vernünftige Entwicklungspolitik.
(Beifall bei der FDP)

Schließlich und letztens: Wenn man über die Wirtschafts- und Finanzkrise redet und sich in diesem Hause darüber auseinandersetzt, was bei dem G-8-Gipfel in L’Aquila besprochen wird, dann wäre es natürlich auch notwendig, etwas zum nationalen Beitrag zur Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sagen. Dazu ist überhaupt nichts gesagt worden. Wir meinen, die paar Konjunkturpakete, die Sie verabschiedet haben, die oft genug am Ziel vorbeischießen und mehr Steuergeldverschwendung als ein Schaffen von Arbeitsplätzen bedeuten, sind zu wenig. Sie sind auch für eine Regierungserklärung zu wenig. Dementsprechend bleibt es doch bei der Frage, was wir strukturell tun werden. Hillary Clinton hat als Außenministerin einen bemerkenswerten Satz geprägt: Never miss a good crisis. Also: Verpasse niemals die Chancen der Krise. - Eine Krise ist immer schlimm. Das einzig Gute an dieser Krise ist, dass uns der Problemdruck wenigstens dazu zwingen müsste, jetzt die strukturellen Veränderungen durchzusetzen, von denen wir in Wahrheit seit vielen Jahren überzeugt sind, dass sie angepackt werden müssen. Das ist der eigentliche Punkt, den Sie völlig aussparen.

Seit Wochen streitet sich die Republik darüber, was aus dem deutschen Steuersystem wird. Es gibt einen offenkundigen Konflikt zwischen den Regierungsparteien und in der Bundesregierung. Nichts wird dazu gesagt. Was werden Sie denen, mit denen Sie jetzt am Verhandlungstisch sitzen, zu dem Begehren der Bürgerinnen und Bürger auf Entlastung bei den Steuerabgaben sagen? Welche Antwort werden Sie denen geben? Wird an dem einen Tisch die Kanzlerin den Teilnehmern des G-8-Treffens sagen: „Wir wollen die Steuerstrukturreform; das ist unser Angebot an die Völkergemeinschaft, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren“, und am anderen Tisch der Bundesaußenminister das glatte Gegenteil sagen? Dazu ist in dieser Regierung ebenfalls keine Linie vorhanden. Die Regierungserklärungen gehen im Grunde allgemein über die Probleme hinweg, weil Sie sich im Konkreten nicht mehr einig sind.

Wir als FDP bleiben der Überzeugung, dass ein faires Steuersystem nicht die Belohnung für einen Aufschwung, sondern die Voraussetzung für Wachstum, Wachstumskräfte, bessere Konjunktur und damit übrigens auch für bessere und gesunde Staatsfinanzen ist. Das ist der eigentliche Zusammenhang, über den gesprochen werden müsste.
(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir akzeptieren nicht, dass, obwohl wir mittlerweile im OECD-Vergleich eine unvergleichlich hohe Belastung in Form von Steuern und Abgaben für die Arbeitseinkommen, und zwar die kleineren und mittleren Arbeitseinkommen, in Deutschland haben, dieses Thema ausgespart wird. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Sie seit nun fast vier Jahren Bundeskanzlerin sind. Es ist die - jedenfalls geplant - letzte Regierungserklärung, die Sie in dieser Legislaturperiode in diesem Hohen Hause gehalten haben.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Abwarten!)

- Herr Kollege Kauder, ich habe ausdrücklich gesagt: in dieser Legislaturperiode.
(Thomas Oppermann (SPD): Was wollen Sie uns damit sagen?)

- Was ich Ihnen damit sagen will, ist geradezu offensichtlich, Herr Kollege Oppermann.
(Beifall bei der FDP - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Da Sie es erbitten, kann ich es auch etwas deutlicher formulieren:
(Volker Kauder (CDU/CSU): Bitte!)

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben jetzt elf Jahre lang im Finanzministerium Verantwortung gezeigt. Sie haben gezeigt, dass Sie es nicht können. Es ist gut, dass Sie sich bald in der Opposition erholen werden.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD - Thomas Oppermann (SPD): Ist das alles, was Sie vorzubringen haben? Dafür werden Sie nicht gewählt!)

Für jede Regel, die Sie in der Finanzpolitik beklagen, haben Sie im Finanzministerium, das Sie in den letzten elf Jahren sozialdemokratisch geführt haben, zu haften. Für alles, was fehlt, müssen Sie sich bei sich selbst beklagen.
(Beifall bei der FDP)

Alles, was fehlt, haben Sie politisch zu verantworten.

Ich möchte zum Schluss auf das eingehen, was wirklich notwendig ist und worum es aus unserer Sicht geht. Sie haben vier Jahre in der sogenannten Großen Koalition Regierungsverantwortung getragen. Wir stellen fest: Sie sind für die größte Steuererhöhung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat, verantwortlich. Wir stellen fest: Noch nie hat eine Regierung so viele Schulden gemacht wie Ihre Regierung, und zwar in schlechten Tagen, aber auch in guten Tagen.

Sie sagen, man dürfe in Deutschland nicht über die Verhältnisse leben. Sie aber waren die Anführer einer Politik, die dazu geführt hat, dass Deutschland über seine Verhältnisse lebt. Sie haben gesagt, Sie wollen investieren, Sie wollen reformieren, Sie wollen sanieren. Von dieser Regierung bleibt vielleicht die Abwrackprämie übrig. Etwas anderes ist nicht zustande gekommen. Die Staatsfinanzen sind ruiniert. Die Steuern und Abgaben sind hoch. Sie haben Ihre Aufgaben in diesen Jahren nicht erfüllt. Es wird Zeit, dass wir eine Regierung bekommen, die gemeinsam in dieselbe Richtung denkt und sich nicht lähmt, weil sie sich in den meisten Fragen nicht mehr einigen kann.
Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP)