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Bargeld, sonst nichts
DIE ZEIT, Ausgabe 16, 2007
© DIE ZEIT, 12.04.2007 Nr. 16
* Schlagworte:
* Reformen
* Steuerrecht
* Arbeit und Sozialstaat
* Einkommen
Wie sich der verstorbene Nobelpreisträger Milton Friedman schon im Jahr 1962 ein Grundeinkommen vorstellte. Er nannte es »negative Einkommensteuer«
Umstritten: Milton Friedman
Umstritten: Milton Friedman
© Montage ZEIT online/Getty Images
Erstens: Wenn das Ziel der Abbau der Armut ist, benötigen wir ein Programm mit dem Zweck, die Armen zu unterstützen. Es gibt gute Gründe, dem armen Mann, der Bauer ist, zu helfen, nicht, weil er Bauer ist, sondern weil er arm ist. Das Programm sollte dazu eingerichtet sein, Menschen als Menschen zu helfen und nicht als Mitglieder bestimmter Berufsgruppen oder Altersgruppen oder Einkommensgruppen oder Gewerkschaften oder Industriezweige. Dies ist in grenzenlos erscheinender Verbreitung der Fehler der Programme zur Unterstützung der Landbevölkerung, allgemeiner Altersfürsorge, Mindestlohngesetzgebung, Pro-Gewerkschafts-Gesetzgebung, Mindestlöhnen, Lizenzzwang für bestimmte Handwerks- und Berufsgruppen usw. Zweitens sollte das Programm zwar auf dem Markt funktionieren, dabei jedoch soweit irgend möglich den Markt nicht stören und seine Funktionsweise nicht beeinträchtigen. Dies ist ein Fehler von Preissubventionen, Mindestlohnsätzen, Fixtarifen und Ähnlichem.
Die Maßnahme, die sich aus rein technischen Gründen anbietet, ist eine negative Einkommensteuer. (…) Wenn eine Person ein steuerpflichtiges Einkommen von 100 Dollar bezieht, das heißt ein Einkommen von 100 Dollar über dem Steuerfreibetrag und den absetzbaren Sonderausgaben, zahlt sie dafür Steuern. Nach meinem Vorschlag würde sie, wenn das Einkommen »minus« 100 Dollar betrüge, das heißt 100 Dollar weniger als der Steuerfreibetrag plus der absetzbaren Sonderausgaben, negative Steuern bezahlen, also eine Zuwendung erhalten, Wenn der Zuwendungssatz beispielsweise 50 Prozent wäre, würde sie in unserem Beispiel 50 Dollar erhalten. Wenn sie überhaupt kein Einkommen bezöge und aus Gründen der Einfachheit auch keine Sonderausgaben geltend machen könnte, würde sie bei konstantem Zuwendungssatz 300 Dollar erhalten. Sie könnte noch mehr erhalten, wenn sie zum Beispiel für Arztkosten etwas absetzen könnte, sodass ihr Einkommen ohne Absetzbarkeit schon vor Abzug des Freibetrages negativ wäre.
Die Zuwendungssätze könnten selbstverständlich gestaffelt werden, wie das auch bei den Steuersätzen bei Überschreitung des Freibetrags geschieht. Auf diese Weise könnte eine Grundlage geschaffen werden, die im Einkommen des Einzelnen niemals unterschritten werden könnte (Einkommen jetzt verstanden unter Zurechnung der Zuwendung). In unserem simplen Beispiel 300 Dollar pro Person. Die genaue Höhe des Grundeinkommens hinge davon ab, was die öffentliche Hand aufbringen könnte. Die Vorteile dieser Maßnahme liegen auf der Hand. Sie ist speziell auf das Problem der Armut ausgerichtet. Die Hilfe erfolgt hierbei in der für den Einzelnen nützlichsten Form, als Bargeld. Sie ist allgemein anwendbar und könnte anstelle der Vielzahl der derzeitig angewendeten Sondermaßnahmen eingeführt werden. Sie zeigt die Kostenbelastungen der Gesellschaft deutlich auf. Sie funktioniert ohne Beeinflussung des Marktes. Wie jede Maßnahme gegen die Armut verringert sie den Antrieb der Unterstützungsempfänger, sich selbst zu helfen, schließt diesen Antrieb jedoch nicht völlig aus, wie das bei einem System der Einkommensunterstützung bis zu einem festgelegten Minimum der Fall wäre. Jeder zusätzliche Verdienst würde bedeuten, dass mehr Geld zum Ausgeben zur Verfügung stünde. (…) Einige kurze Berechnungen lassen überdies erkennen, dass der Vorschlag finanziell weitaus billiger wäre und erst recht die erforderlichen Aufwendungen der staatlichen Verwaltung vermindern würde, im Gegensatz zu unserer gegenwärtigen Ansammlung von Wohlfahrtsmaßnahmen. Man kann diese Berechnungen auch als Beweis für die Verschwendung bei den augenblicklichen Methoden vom Standpunkt ihres Sinns, den Armen zu helfen, ansehen. (…)
Der Hauptnachteil der vorgeschlagenen negativen Einkommensteuer liegt in ihren möglichen politischen Folgen. Sie würde zu einem System führen, in dem einigen Steuern auferlegt würden, um anderen Unterstützungen zu zahlen. Und selbstverständlich sind diese anderen wahlberechtigt. Hierbei besteht die Gefahr, dass anstelle eines Arrangements, bei dem die große Mehrheit sich freiwillig selbst Steuerlasten auferlegt, um einer benachteiligten Minderheit zu helfen, ein Arrangement entsteht, bei dem die Mehrheit einer unwilligen Minderheit Steuerbelastungen zu ihren eigenen Gunsten auferlegt. Ich sehe keine andere Lösung dieser Frage, als auf die Zurückhaltung und die Gutwilligkeit der Wählerschaft zu vertrauen.
Quelle: Milton Friedman: »Kapitalismus und Freiheit«; Piper Verlag, München 2006; 3. TB-Auflage, S. 227–231
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