Ökonom Charles Goodhart
"Die Industrieländer müssen helfen"
von Ulrike Heike Müller (Berlin)
http://www.ftd.de/politik/international/:%D6konom-Charles-Goodhart-Die-Industriel%E4nder-m%FCssen-helfen/485001.html
Die Entwicklungsländer werden viel länger und stärker mit der globalen Wirtschaftskrise zu kämpfen haben als die Industriestaaten. Der Ökonom Charles Goodhart prophezeit, dass die Krise in armen Staaten bis 2011 andauert.
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"Unter der schweren Phase für die Weltwirtschaft leiden die Entwicklungsländer viel mehr", sagte Charles Goodhart, emeritierter Professor an der London School of Economics, im FTD-Interview. Mit einer Erholung der ärmsten Länder rechnet der angesehene Ökonom frühestens zum Jahresende 2011.
Diesen Zeitpunkt macht er vom Ende der Rezession in den USA abhängig. Dies wird seiner Einschätzung nach nicht vor Ende dieses Jahres sein. "Die Entwicklungsländer werden mindestens zwei Jahre länger brauchen", sagte Goodhart.
In den vergangenen Jahren hatten viele arme Länder Fortschritte in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung gemacht. Das Bruttoinlandsprodukt legte 2008 im Schnitt um 5,4 Prozent zu. Nach dem heftigen Ausbruch der Finanzkrise im September vergangenen Jahres trotzten die zur Gruppe der Entwicklungsländer gehörenden 78 Staaten dieser zunächst. Nun sind auch sie in den Krisensumpf gerutscht.
Charles Goodhart verlangt wegen der Krise mehr finanzielle Hilfen für die Entwicklungsländer
Charles Goodhart verlangt wegen der Krise mehr finanzielle Hilfen für die Entwicklungsländer
Die sozialen Folgen für die armen Länder sind gravierender als in den Industrieländern. Die Menschen dort müssen nach Angaben der UN-Handelsorganisation UNCTAD im Schnitt mit täglich 76 US-Cent auskommen. In vielen Ländern fehlen stabile Sozialsysteme. "Deshalb haben sie weniger Möglichkeiten, ihre Bürger vor den Krisenfolgen zu schützen", sagte Goodhart. Die Weltbank schätzte vor Kurzem, in den armen Ländern könnten 1,4 bis 2,8 Millionen Kinder in den Jahren 2009 bis 2015 zusätzlich verhungern, wenn die Krise anhalte.
"Die Entwicklungsländer haben große Probleme, sich selbst zu helfen", sagte Goodhart. Damit bestätigt der 72-Jährige die Einschätzung der betroffenen Länder von der Weltbank und dem IWF. "Die Industriestaaten müssen ihnen helfen", forderte er. Reiche Länder sollten mehr Finanzmittel bereitstellen. Der Währungsfonds schätzte, dass allein die am stärksten betroffenen Entwicklungsländer in diesem Jahr mindestens 25 Mrd. $ benötigen, um die Krise abzufedern.
Verschärft sich die globale Rezession künftig noch - und davon gehen neben dem Fonds viele Experten aus - wären sogar bis zu 140 Mrd. $ nötig. Die Weltbank schätzt den zusätzlichen Finanzbedarf noch wesentlich höher.
Direkte Hilfen hat Deutschland als drittwichtigster Industriestaat bislang offiziell abgelehnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte vor Kurzem gesagt, Deutschland setze bei notwendigen Finanzspritzen für besonders von der Krise betroffene Staaten auf den IWF. Sollte dieser mehr Geld brauchen, werde sich Deutschland nicht verschließen, sagte Merkel.
Teil 2: Warum sich alle Staaten ins Zeug legen müssen >> "Die Industrieländer müssen helfen"
von Ulrike Heike Müller (Berlin)
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Goodhart betonte, alle Staaten müssten an einem Strang ziehen, um die schwere Krise so schnell wie möglich einzudämmen. "Alle müssen tun, was sie können, um Zusammenbrüche zu vermeiden", sagte er. Dabei schloss er neben dem wirtschaftlichen Ruin auch politische Krisen ein, vor allem in den Entwicklungsländern. Gerade in vielen afrikanischen Staaten hemmen "Korruption und ethnische Konflikte maßgeblich die wirtschaftliche Entwicklung. Politische Führung in der Krise ist besonders wichtig. Versagt sie, leiden vor allem die einfachen Menschen."
Gleichzeitig sagte Goodhart, der als einer der besten Kenner der Geldpolitik gilt, die US-Zentralbank Fed mache derzeit einen guten Job im Kampf gegen die Krise. Sie setzt inzwischen auf ungewöhnliche Methoden, um Geld in die Wirtschaft zu pumpen.
"Die mengenmäßige Lockerung der Geldpolitik ist der richtige Weg. Im Moment gibt es keine andere Chance. Es ist das letzte Instrument, um die Märkte mit Liquidität zu versorgen", sagte Goodhart. Er saß von 1997 bis 2000 im wichtigsten Entscheidungsgremium der britischen Notenbank.
Gleichzeitig müssten die Notenbanker die damit verbundene Inflationsgefahr im Auge behalten. Im Unterschied zur Fiskalpolitik könnte die jetzige Politik des leichten Geldes jedoch "sehr schnell" rückgängig gemacht werden. "Das muss nach der Krise geschehen", sagte Goodhart.
Um den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden - der unter Experten umstritten ist -, forderte er die Verantwortlichen auf, neue Wege zu gehen, um bessere Informationen zu erhalten. "Wir brauchen dringend mehr Instrumente", sagte Goodhart. Deshalb forderte er bessere Kontrollen der Hypothekenmärkte und eine bessere Überwachung der Liquidität der Banken.
Kenner der Banken
Steile Karriere Der 1936 geborene Ökonom Charles Goodhart promovierte in Harvard und wurde danach Professor.
Geldexperte Goodhart lehrte lange Zeit an der London School of Economics und ist dort seit seiner Emeritierung nach wie vor Mitglied der renommierten Financial Markets Group. Für die britische Zentralbank arbeitete er von 1969 bis 2000 in hohen Positionen.
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